Farben kommen von der Palette, nicht von der Natur
In einer Obergeschosswohnung in Favoriten: Büchertürme von großen Meistern der Malereigeschichte, gestapelte Keilrahmen im kompakt kleinen Format, eine alte Schwechater-1/2-Liter Flasche mit zeitlos schönem Logo, Ölpatzen, die sich zu einem „West“-artigen monströsen Klumpen verwandelt haben – und noch immer wuchern; neben der Staffelei gereiftes Obst auf Teller mit Messer; Öltuben und Palettenmesser sorgfältig aufgereiht.
Heinrich Menches ist ein Maler des Intimen, des Einfachen, der Dinge, die in Griffweite sind – also ein klassischer Ansatz des Genres Stilllebenmalerei von Chardin über Cézanne bis Morandi – und dennoch extrem frisch und überraschend zeitgemäß. Das kleinformatige Ölbild ist formatbestimmend, denn Menches ist kein Maler des opulenten Stilllebens. Er sucht die einfache Stille im Bild auf, die sich aber als eine überraschend bestimmende entpuppt. Ja, es sind ganz große Bilder, in ihrer malerischen Natur und in ihrer räumlichen Dimension: „Du kannst was Kleines gigantisch malen“, so der Künstler. Eine Art kosmische Transformation ist bei der Bildwerdung im Gange, wenn der Hintergrund des bescheidenen Blumenstocks aufbricht und landschaftliche Räumlichkeit entfacht, ohne einen bestimmten Naturraum einbauen zu wollen. Die Malerei selbst kreiert ihn. Man könnte aber meinen, das Werk definiere sich auf einer rein materiellen Ebene: „Farben kommen von der Palette, nicht von der Natur“, wie der Maler zu sagen pflegt. Menches` ist ein „Schmierer mit dem Palettenmesser“, so wie einst Courbet, der die monströsen Meeresbrandungen, die sich an der Glasscheibe seines Häuschens an der Normandie-Küste gebrochen haben, in pastoser Manier auf die Leinwand aufgetragen hat. Die Tradition der „Schmierer“ reicht bis Rembrandt zurück, geht über Courbet, den frühen Cézanne, van Gogh, zu Soutine, Corinth, und dem tragisch-österreichischen Gerstl, den Cobra-Wilden und de Kooning mit seinen Frauen bis hin zu Auerbach und Freud. Neben den Aspekten Abstraktion und Autonomisierung der Farbe als optischen Wert hat die materielle Freisetzung der Farbe für das Kapitel der modernen Malerei einen essenziellen Beitrag geleistet.
Durch das intuitive Schmieren erlebt das Werk auch zusätzlich eine expressionistisch individuelle Note, die sich vom akademisch-klassizistischen Diktat der Malerei befreien konnte. Der glatte Spiegel der Malerei war allzu verführerisch, weltlimitierend. Darum kümmerten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Männer mit ihren magischen Kisten, dunklen Kammern und Spiegeln mit Gedächtnis. Und dennoch sind Menches kompakte Gemälde voller Tiefe und Stimmung. Das sinnlich Cremige und zuweilen hart Pockige der Ölpaste transformiert sich in ein innerbildliches Raumgefüge mit atmosphärischen Reizen. An dieser ambivalenten Schnittstelle lädt sich das Werk auf. So entwickelt das gemalte Arrangement von Sardinen und zwei Blattsalatköpfen eine überraschende Weite. Der bescheidene Tisch mit den Lebensmitteln wird zum dynamischen Landstück, offene bläuliche Striche zum wogenden Himmelsband. Menches verinnerlicht beim Malen die Dinge dieser Welt, ob steirische Weichseln, Fische, Bauernblumen. Das Wie steht vor dem Was, wobei das Was durch das Wie eine unheimlich bezaubernde Note erhält, so als würde jedes so unbedeutende Pflänzchen zum Standesporträt werden. Mit dem Apfel hat Cézanne die Malerei revolutioniert, nicht durch Schlachtenbilder und Herrscherbildnisse. Während sich Cézannes Obst auf einer mehr analytisch-impressionistischen Ebene befindet, sprechen etwa Soutines ausgeweidete Hasen, Gockelhähne und Ochsen eine deutliche Charaktersprache. Soutine nahm sich eigens vom Fleischhauer sein gehäutetes Getier mit in den Atelierschuppen, um es in Nahdistanz zu inhalieren und in cremig-fleischlicher Manier auf das Leinwandtextil zu bannen. Bei Menches sind es nicht nur die Klassiker unter den Stilllebensujets wie Apfel, Blume und Fisch-Fingerfood, sondern auch nostalgisch anmutende Spielzeuge aus der guten alten Zeit. Als Kind hätte er immer gerne Rolli Zollis Rennboot, Eisenbahn und Motorradfahrer unter dem Christbaum liegen gesehen. So hat er sie in den letzten Jahren in Öl festgehalten. Bezaubernde Preziosen der Malerei. Dazu gesellen sich verbeulte Gösser- und Coladosen sowie die Heller-Zuckerl, die im bläulichen Schimmer wie Schifferl auf dem Ölfilm der Malerei schwimmen.
Gerade diese alltagsbezogenen Waren verleihen den Arbeiten eine ganz eigensinnige Note. Sie gehen auf Distanz zum klassisch-modernen „Expressionisten-Image“ mit Malerkelle und rücken in ein poppigeres Licht, ohne allzu sehr das Typische der Pop Art formal einzulösen. Das Primat der Linie und Fläche, die schematisierten Motive der Konsumwelt, die ökonomische Machart – etwa durch den Siebdruck – stehen Menches malerischer Malerei mit räumlicher Entfaltung geradezu diametral entgegen. Wayne Thiebauts süße Leckereien könnte man da noch ins Spiel bringen; diese haben ebenfalls gemalte Substanz, so als würde sich der amerikanische Künstler in die Rolle des Zuckerbäckers versetzen. Ihre Ausformulierung von Cupcake und Lollipop ist jedoch sehr streng emblematisch in einem klaren Figur-Grund-Verhältnis umgesetzt. Menches hingegen vermengt das Motiv in der delikaten Joghurtcreme der Ölfarbe, lässt es aber nicht als verwilderte Deformation im expressiven Meer der Messerhiebe untergehen. Das Sujet behauptet sich in seiner Schärfe im öligen Glanz der geschmierten Paste.
(Florian Steininger, 2014)